Freitag, 8. Januar 2016

Die Versager Charts



Zu den widerlichen Ereignissen von Köln ist inzwischen das meiste gesagt worden. Nur eine einzige Bemerkung sei erlaubt, bevor ich den größeren Bogen spanne: Wirklich überraschend war das nicht. Diese immer nach ähnlichem Muster zusammengesetzte und dann auch vorgehende Gruppe asozialer Gewalttäter gibt es schon lange. Nur haben die Medien das nie wirklich zum Thema gemacht und damit komme ich zum Kern meiner Ausführungen, nämlich einer kleinen Hitparade der Schande: Den beiden großen Versagern des Jahres 2015. Die sind nicht nur für grandioses Scheitern verantwortlich, sondern auch für eine regelrechte Zeitenwende: Die totale Entfremdung vom politisch-medialen System.

Platz 2: Die Politik - willkommen im Ein-Parteien-Parlament

Auch wenn sie kommunikativ ständig verdroschen werden - und das vollkommen zu Recht -, haben sie sich den Platz auf dem Thron nicht verdient. Dennoch war es eine reife Leistung, was unsere Polit-Riege im letzten Jahr geschafft hat: Eine in puncto Vertrauen ohnehin erodierende Situation noch einmal drastisch zu verschlechtern. Ein Wortbruch jagt den nächsten, von der Maut über die Transferunion bis hin zur Einwanderungspolitik haben Handelnde wie die Kanzlerin ihre eigenen, öffentlich gemachten Versprechen glatt gebrochen. Wo deutsche Politik früher dröge, bürokratisch und kompliziert war, konnte sie doch meist als eines gelten: Als verlässlich. Ärmelschoner verhießen zumindest Seriosität.

Während aus den Reihen der deutschen und EU-Politik Ländern wie Ungarn oder Polen Ratschläge erteilt werden, agieren unsere Regierenden inzwischen wie selbstherrliche Monarchen. Eine in der Bevölkerung krass abgelehnte Einwanderungspolitik wird nicht nur nicht korrigiert, sondern das Grundprinzip beibehalten. Was das Gefühl der Ohnmacht vieler Menschen steigert, ist das Fehlen jeglicher politischer Opposition: Es hat schon etwas Bizarres, dass die Kanzlerin aktuell bei den Oppositionsparteien wie den Grünen beliebter zu sein scheint als in den eigenen Reihen - aus denen niemand ernsthaft einen Diskurs anstößt. Um das Lange kurz zu machen: Die Politik regiert wie ein amorphes Ein-Parteien-Gebilde, viele Menschen finden im Parlament keinerlei Projektionsfläche mehr für ihre Auffassungen.


Platz 1: Die klassischen Medien - willkommen in der Selbstzensur

Was bleibt einem von der Politik Entfremdeten übrig? Früher die Hinwendung zu den Medien als quasi vierte Gewalt im Staat. Wer erinnert sich nicht an die Schlachten, die SPIEGEL, Stern oder die BILD früher schlugen? Manchmal unsachlich, oft agitatorisch, aber meist mit klarer Kante und sehr unterschiedlichen Standpunkten. Echter Diskurs eben, der die Republik bewegte.

Und heute? Selbstzensur auf ganzer Strecke. Welch merkwürdiges Berufsethos hat inzwischen in die Redaktionen Einzug gehalten. Zugegeben, der deutsche Journalist war im Gegensatz zum angelsächsischen schon immer davon beseelt, seine Leser zum besseren Menschen zu erziehen und zu belehren, aber die Pluralität der Standpunkte gab immerhin die Möglichkeiten, diese mit den eigenen abzugleichen. Inzwischen macht es kaum noch einen Unterschied, zu welchem Medium man greift, die Sprachregelungen ähneln sich: Parteien außerhalb des Parlaments erhalten entsprechende Attribute wie "ultra", "rechts", "neo" oder "populistisch", um sie schon vor dem eigentlichen Denkprozess einer Meldung zu desavouieren. 

Reale Probleme vieler Menschen, die den medial-politischen Konsens einer "bunten Gesellschaft" aufkündigen könnten, werden totgeschwiegen oder relativiert. Dem allergrößten Teil der Redakteure scheint vor allem eins im Nacken zu sitzen: Die Angst vor imaginären braunen Horden, die schon morgen durch die Republik stiefeln könnten. Selbst brave Bürger, die nichts anderes tun, als demokratische Rechte wahrzunehmen und ihre Ängste auf der Straße zu artikulieren, werden entsprechend anmoderiert und vor Mikrofonen lächerlich gemacht, nach dem Motto: "Schaut Euch die tumben Deppen an, höhö."

Der fatale Eindruck, den viele Medien damit erwecken: Sie seien im Bunde mit den Mächtigen. Ob das nun bewusst geschieht oder eher aus eigener Weltanschauung heraus, ist am Ende sekundär - viele Medien haben ihre Rolle als glaubwürdige Kontrollfunktion verloren.

Haben sie daraus irgendetwas gelernt? Mein bisheriger Eindruck: Keineswegs. Stattdessen weinerliche Berichte über "Lügenpresse" Vorwürfe. Selbstkritik: Fehlanzeige - da marschieren Politik und Medien eingehakt im Gleichschritt.


Der europäische Frühling kommt von unten

Das Ying Fazit: Die Entfremdung von Politik und Medien beschleunigt sich - am Gipfel ist sie noch nicht angekommen. Der ist für die Politik dann erreicht, wenn die Wahlergebnisse endgültig kippen wie in unseren Nachbarländern. Erst wenn die Jobs auch bei der Basis flöten gehen, wackeln die Stühle der Regierenden.

Das Yang Fazit: Das Sterben der klassischen Medien hat begonnen. Gut so! Wir sind bereits erwachsen und benötigen keine Erziehung qua Medien, keine oberste Instanz, die entscheidet, welche gefilterten Nachrichten wir erhalten dürfen und welche nicht, keine Morgenmagazine, Nachrichtenportale oder große Zeitungen, die uns ihre immer gleiche Meinungssicht der Dinge mitteilen - unsere Gesellschaft braucht aktuelle Medien, die gerne auch polarisieren dürfen, aber uns nichts vorenthalten oder mit einem seltsamen "Neusprech" bedienen, sondern auf Information setzen.

Die Entfremdung von den Institutionen ist ein schmerzhafter, am Ende aber vielleicht genau der notwendige Prozess, um nach einer Phase der Turbulenz und Neubesinnung wieder zu den Ursprüngen zurückzukehren: Einer Demokratie, die den Namen verdient und einer Medienlandschaft, die wahrhaft plural ist.

Mit den derzeit Handelnden wird das nicht gehen.

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