Freitag, 5. Dezember 2014

Ein neuer Wagen für den Sheriff



Vor kurzem las ich mit gewissem Vergnügen, wie in einer amerikanischen Kleinstadt irgendwo im Mittelwesten der Wahlkampf um den Posten des Sheriffs tobte. Während der bestehende Polizeichef den leichten Überschuss des letzten Jahres in die Stelle eines neuen Deputys investieren wollte, plädierte sein politischer Gegner für die Anschaffung eines neuen Streifenwagens. Die kleine Gemeinde fand die Argumente des Gegenkandidaten überzeugender, wählte den Sheriff aus dem Amt und erfreut sich nun an einem nagelneuen Dodge Charger, der aus ihrer Sicht für mehr Sicherheit in der abgelegenen Kommune sorgt, in der es manchmal eine Stunde dauerte, bis die Polizei vor Ort erschien.

Ob Sheriff, oberster Staatsanwalt, Bürgermeister oder Vorsitzender des Energieversorgers - in den Staaten wird auf lokaler Ebene so gut wie alles gewählt, was Dienstleistungen für seine Bürger erbringt. Washington ist weit, Parteien spielen kommunal so gut wie keine Rolle und man will wissen, mit wem man es zu tun hat und wofür der Kandidat steht.

Hand aufs Herz: Kennen Sie den Namen Ihres Polizeichefs? Oder desjenigen, der die Geschicke der Wasserwerke, der Abfallbeseitigung oder der Justiz an oberster Stelle in Ihrem Kreis oder Ihrer Stadt lenkt?

Wenn ich hin und wieder politisch träume, dann wünsche ich mir zwei wesentliche Elemente der amerikanischen Demokratie: Das Personen- und das Mehrheitswahlrecht, von Volksabstimmungen ganz zu schweigen. Beidem gebe ich allerdings keine reale Chance zur Umsetzung. Politiker, die sich konkreten, von der Bevölkerung gewünschten Zielen verschreiben, werden bei uns bizarrerweise als "Populisten" verleumdet - könnte es einen eindeutigeren Hinweis darauf geben, wie sehr wir uns selbst gern in die Rolle des Untertans begeben?

Maximal ein Promille unserer Bevölkerung regiert über den Rest - alle befinden sich im Besitz von Parteibüchern. Wie komme ich auf die Zahl? Rund ein Prozent aller Deutschen sind Mitglied in einer politischen Partei. Hiervon dürften maximal zehn Prozent an die wirklich wichtigen Posten kommen, weshalb letztlich eine kleine Kaste Auserwählter für die oben beschriebenen Tätigkeiten in Frage kommt: Den Chef der Stadtwerke, des Zweckverbandes, der Landespolizei usw. Ohne sich je einer Wahl der Bürger gestellt zu haben. Selbst noch so kompetente Vertreter scheitern bei einer Bewerbung so gut wie immer, wenn sie nicht das passende Parteibuch besitzen.

Fast noch wichtiger finde ich das Mehrheitswahlrecht, das bei einem überzeugten deutschen Konsensbürger ungefähr so beliebt ist wie ein gezielter Bauchschuss. Dass man einer einzigen Partei die Macht übergibt, sie damit auch für alle Versprechen haftbar machen kann, ist hier zu Lande unvorstellbar. Wo soll denn da der Umweltschutz herkommen? Bitte bei Gelegenheit hierzu nachlesen, wo Flottenverbrauch, Emissionshandel oder der Abgaskatalysator erfunden wurden. Wichtig beim Mehrheitswahlrecht ist vor allem die klarere Politik. Die kann im schlimmsten Fall desaströs ausfallen, aber dann ist jedenfalls klar, wer den Mist zu verantworten hat. Wir dagegen feiern unser ausgewogenes Wahlsystem, das heute in Thüringen dazu geführt hat, dass sich Wahlverlierer zusammenschließen, um regieren zu können. Oder es führt zu großen Koalitionen, in denen sich überhaupt niemand mehr wiederfindet und bei denen der Entfremdungsprozess weiter vorangetrieben wird.

Wir sollten das ändern. Denn die Politiker werden es nicht tun. Selbst bei einer fiktiven Wahlbeteiligung von 1% werden sie weiterhin agieren können, ohne sich zwingend um das kümmern zu müssen, was sich Menschen an politischen Zielen wünschen. Kein Wunder, dass einer der höchsten politischen Vertreter Europas wie Martin Schulz immer gute Laune hat - er wurde als Person noch nie direkt in ein europäisches Amt gewählt, bestimmt aber wesentlich die Geschicke von mehr als 400 Millionen Menschen mit.

Da zeigt der kleine Ort im Mittelwesten der USA deutlich mehr politische Reife.

Amerika, Du hast es gut.