Donnerstag, 2. Januar 2014

Das große Gefühl - Amerikanische Filme


Reichlich verkatert sah ich mir mit einem großen Pott Kaffee auf dem Bauch an Neujahr einen amerikanischen Jugendfilm an: "Die Brücke nach Terabithia". Der ohnehin sehenswerte Film über die Gefühlswelten jugendlicher Außenseiter bestach durch eine drastische Wendung: Die sympathische Protagonistin starb unerwartet. Danach entfaltete der Film seine ganze erzählerische Kraft und zeigte, wie dieser schreckliche Verlust von ihrem besten Freund verarbeitet wurde.
Warum sehen wir immer wieder amerikanische Filme, die uns tief berühren, amüsieren, unterhalten? Wieso passiert das so selten bei unseren eigenen Produktionen oder denen der europäischen Nachbarn?
Meine Behauptung: Der unnachahmliche, angelsächsische Mix aus kulturellem Vorteil und struktureller Effizienz machts aus. Okay, ich kann das auch einfacher ausdrücken: Der Mut zum großen Gefühl und die Qualität in der Herstellung sind nicht zu toppen.

Filme machen wie Autos bauen
Auch wenn ich in diesem Beitrag vor allem über den Mut zum Gefühl sprechen möchte, kann eines nicht außen vor bleiben: Die Amerikaner haben schon lange erkannt, dass gute Geschichten auch professionell umgesetzt werden müssen. So wie wir die besten Autos der Welt bauen, stellen sie die erfolgreichsten Filme her: In effizienter Arbeitsteilung mit erstklassigen Kameraleuten, Regisseuren, Autoren, Schauspielern und allen anderen Beteiligten, die einen Film zum großartigen Endprodukt machen. Die Parallelen zu unserer Autoindustrie sind frappierend: Es gibt kaum teurere Standorte als deutsche und dennoch werden die Produkte gekauft. Ebenso gibt es kaum einen teureren Ort für die Filmproduktion als Los Angeles mit seinen gewerkschaftlich organisierten Filmprofis - und weltweit keinen erfolgreicheren. Qualität hat ihren Preis - das zahlt sich umgekehrt dann auch nicht aus, wenn in Deutschland an vielen Stellen Filme nur über die Selbstausbeutung der Beteiligten hergestellt werden. Heraus kommen häufig Filme für Minderheiten - das globale, selbst das nationale Kino wird nur selten erobert.

Kulturvorteil 1: Die Unterhaltung als Tugend
Zwei Amerikaner im Flugzeug reden nicht miteinander, sondern sie unterhalten sich, meinte Neil Postman in "Wir amüsieren uns zu Tode" und formulierte dies durchaus als Vorwurf. Schon von klein auf wachsen Amerikaner mit Erzählungen auf, werden regelrecht darauf trainiert, ihr Gegenüber pointenreich zu unterhalten, lernen Rhetorik, Schreiben und Theater bereits an der Schule. Je mehr Menschen dadurch begeistert werden, umso besser, oft wird dies auch in regelrechten Wettkämpfen ermittelt.
Unsere Kultur dagegen geißelt gerne den Erfolg in der Kunst. Unterhaltung für die Massen kann nie Kunst sein - mit dieser Haltung wächst man bei uns auf, wogegen Kunst im Angelsächsischen vor allem das Ziel hat, viele Menschen zu erreichen und zu bewegen. Der perfekte Protagonist hierfür ist der wohl weltberühmteste Unterhaltungskünstler aller Zeiten: William Shakespeare.

Kulturvorteil 2: Der Mut zum großen Gefühl
Haben wir weniger Emotionen als Angelsachsen? Sicher nicht. Aber können wir sie auch künstlerisch zeigen, trauen wir uns das?
Die Angst vor dem Kitsch, vielleicht auch vor dem klaren Bekenntnis zu starken, negativen Gefühlen ist bei uns allgegenwärtig. Vieles wird relativiert, echte Heldenfiguren finden sich kaum, männliche Charaktere müssen gebrochen sein, Soldaten stets traumatisiert. Das amerikanische Kino setzt auf das klare, große Gefühl, das seit Jahrtausenden die Menschen bewegt: Liebe, Trauer, Eifersucht, Verlust, Leidenschaft, Rache und immer wieder: Freundschaft.
Konflikte werden nach den immer gleichen Regeln erzählt, die unserer Moral entsprechen: Du bist für das verantwortlich, was Du tust. Sünden müssen beglichen werden, kleine wie große - ob mit dem Tod oder einem reinigenden Konflikt.

Entscheidend, und das scheint mir ein wesentlicher kultureller Unterschied zu sein, ist dabei der Mut zum großen Gefühl, der sich auch in leichteren Stoffen fast durchweg findet, Tiefe verleiht und großartige Bilder erzeugt. Nahezu alle Komödien und selbst viele Actionstreifen bieten diese zusätzliche Ebene des Erzählens - wir trauen uns das selten, sondern setzen entweder auf den Klamauk oder den schweren Stoff.

Die gekonnte und erfolgreiche Mischung geht anders.

Wenn der seit Jahren verwitwete Del Griffith in "Ticket für Zwei" an Thanksgiving zum Essen eingeladen wird und vor Freude kein Wort mehr herausbringt, dann rundet diese Szene eine meisterliche Komödie endgültig mit gefühlvollem Tiefgang ab. Und sorgt für einen schönen, großen Kloß im Hals.

Unterhaltung mit Gefühl - eine amerikanische Domäne.

Dafür bauen wir erstklassige Autos.