Reichlich verkatert sah ich mir mit einem großen Pott Kaffee auf dem Bauch an Neujahr einen amerikanischen Jugendfilm an: "Die Brücke nach Terabithia". Der ohnehin sehenswerte Film über die Gefühlswelten jugendlicher Außenseiter bestach durch eine drastische Wendung: Die sympathische Protagonistin starb unerwartet. Danach entfaltete der Film seine ganze erzählerische Kraft und zeigte, wie dieser schreckliche Verlust von ihrem besten Freund verarbeitet wurde.
Warum sehen wir immer wieder amerikanische Filme, die uns tief
berühren, amüsieren, unterhalten? Wieso passiert das so selten bei unseren
eigenen Produktionen oder denen der europäischen Nachbarn?
Meine Behauptung: Der unnachahmliche, angelsächsische Mix
aus kulturellem Vorteil und struktureller Effizienz machts aus. Okay, ich kann
das auch einfacher ausdrücken: Der Mut zum großen Gefühl und die Qualität in
der Herstellung sind nicht zu toppen.
Filme machen wie
Autos bauen
Auch wenn ich in diesem Beitrag vor allem über den Mut zum
Gefühl sprechen möchte, kann eines nicht außen vor bleiben: Die Amerikaner
haben schon lange erkannt, dass gute Geschichten auch professionell umgesetzt
werden müssen. So wie wir die besten Autos der Welt bauen, stellen sie die
erfolgreichsten Filme her: In effizienter Arbeitsteilung mit erstklassigen
Kameraleuten, Regisseuren, Autoren, Schauspielern und allen anderen Beteiligten,
die einen Film zum großartigen Endprodukt machen. Die Parallelen zu unserer
Autoindustrie sind frappierend: Es gibt kaum teurere Standorte als deutsche und
dennoch werden die Produkte gekauft. Ebenso gibt es kaum einen teureren Ort für
die Filmproduktion als Los Angeles mit seinen gewerkschaftlich organisierten
Filmprofis - und weltweit keinen erfolgreicheren. Qualität hat ihren Preis -
das zahlt sich umgekehrt dann auch nicht aus, wenn in Deutschland an vielen
Stellen Filme nur über die Selbstausbeutung der Beteiligten hergestellt werden.
Heraus kommen häufig Filme für Minderheiten - das globale, selbst das nationale
Kino wird nur selten erobert.
Kulturvorteil 1: Die
Unterhaltung als Tugend
Zwei Amerikaner im Flugzeug reden nicht miteinander, sondern
sie unterhalten sich, meinte Neil Postman in "Wir amüsieren uns zu
Tode" und formulierte dies durchaus als Vorwurf. Schon von klein auf
wachsen Amerikaner mit Erzählungen auf, werden regelrecht darauf trainiert, ihr
Gegenüber pointenreich zu unterhalten, lernen Rhetorik, Schreiben und Theater
bereits an der Schule. Je mehr Menschen dadurch begeistert werden, umso besser,
oft wird dies auch in regelrechten Wettkämpfen ermittelt.
Unsere Kultur dagegen geißelt gerne den Erfolg in der Kunst.
Unterhaltung für die Massen kann nie Kunst sein - mit dieser Haltung wächst man
bei uns auf, wogegen Kunst im Angelsächsischen vor allem das Ziel hat, viele
Menschen zu erreichen und zu bewegen. Der perfekte Protagonist hierfür ist der
wohl weltberühmteste Unterhaltungskünstler aller Zeiten: William Shakespeare.
Kulturvorteil 2: Der
Mut zum großen Gefühl
Haben wir weniger Emotionen als Angelsachsen? Sicher nicht.
Aber können wir sie auch künstlerisch zeigen, trauen wir uns das?
Die Angst vor dem Kitsch, vielleicht auch vor dem klaren
Bekenntnis zu starken, negativen Gefühlen ist bei uns allgegenwärtig. Vieles
wird relativiert, echte Heldenfiguren finden sich kaum, männliche Charaktere
müssen gebrochen sein, Soldaten stets traumatisiert. Das amerikanische Kino
setzt auf das klare, große Gefühl, das seit Jahrtausenden die Menschen bewegt:
Liebe, Trauer, Eifersucht, Verlust, Leidenschaft, Rache und immer wieder:
Freundschaft.
Konflikte werden nach den immer gleichen Regeln erzählt, die
unserer Moral entsprechen: Du bist für das verantwortlich, was Du tust. Sünden
müssen beglichen werden, kleine wie große - ob mit dem Tod oder einem
reinigenden Konflikt.
Entscheidend, und das scheint mir ein wesentlicher
kultureller Unterschied zu sein, ist dabei der Mut zum großen Gefühl, der sich
auch in leichteren Stoffen fast durchweg findet, Tiefe verleiht und großartige
Bilder erzeugt. Nahezu alle Komödien und selbst viele Actionstreifen bieten
diese zusätzliche Ebene des Erzählens - wir trauen uns das selten, sondern
setzen entweder auf den Klamauk oder den schweren Stoff.
Die gekonnte und erfolgreiche Mischung geht anders.
Wenn der seit Jahren verwitwete Del Griffith in "Ticket
für Zwei" an Thanksgiving zum Essen eingeladen wird und vor Freude kein
Wort mehr herausbringt, dann rundet diese Szene eine meisterliche Komödie
endgültig mit gefühlvollem Tiefgang ab. Und sorgt für einen schönen, großen
Kloß im Hals.
Unterhaltung mit Gefühl - eine amerikanische Domäne.
Dafür bauen wir erstklassige Autos.