Mittwoch, 19. März 2014

Der Retro-Mann aus Moskau



Schluss mit Lustig!
Was haben sich schon die Medien über ihn lustig gemacht - wegen seiner inszenierten Machobilder, wegen seiner Körpergröße. Ein kleiner Hanswurst, der einen auf dicke Hose macht, irgendwas kompensieren muss.

Nun hält er die Welt in Atem und viele fürchten ihn oder, selbst im Westen, bewundern ihn. Die Scherze sind verstummt, Häme und Spott weichen Angst und Ungewissheit.

Dabei sehen wir nur einen Mann vor uns, von dem es früher nicht wenige gab. Einen Mann, der handelt. Das ist für uns westliche Weicheier so ungewohnt geworden, wo wir uns doch runde Tische, Abstimmungen, den Konsens aller Beteiligten, die Einbeziehung noch der marginalsten Minderheit wünschen. Wir regeln Dinge über gewaltige, bürokratische Apparate, bei denen am Ende niemand mehr weiß, wer was warum wollte und wieso es zu genau dieser Lösung kam.

Eine politische Welt, in der selbst respektierte Anführer wie Bundeskanzler oder amerikanische Präsidenten nur noch wie Getriebene wirken.

Action speaks louder than words

Dieser Mann handelt.

Mir begegnen derzeit nicht wenige Menschen, die dieses kraftvolle Agieren faszinierend finden, auch wenn sie die politischen Aktionen selbst ablehnen.

Putins Maximen entstammen einer Zeit, der wir oft nostalgisch nachtrauern - in vielem zu Recht. In der die Dinge geordnet waren, man sich auf Worte, Handschläge und Ankündigungen verlassen konnte, als wären sie in Stein gemeißelt. Eine Zeit kantiger Typen mit Biografien, die sich sehen lassen konnten.

Die heimliche Bewunderung des Herrschers aus Moskau sagt einiges über uns aus und die Zeit, in der wir leben. Irgendwas hat sich fehlentwickelt. Putin erinnert uns daran, was das sein könnte.

Freitag, 14. März 2014

Die tägliche Empörung


Schon vor Jahren nervte ich Freunde mit meiner These, dass das Internet dümmer mache. Was insoweit bemerkenswert war, als ich nicht als Kulturpessimist der "Früher war alles besser" Sorte gelte. Was mich in den Anfangszeiten besonders besorgte, war vor allem die Tendenz, weniger Gedrucktes zu lesen - das störte mich ganz eigensüchtig als Autor, aber auch als Vater und Freund von Büchern & Zeitschriften.

Was ich mir allerdings nicht ausmalen konnte, war, wie das hohe Tempo der Echtzeitnachrichten auf die Qualität vieler Medien drückt. Und wie selbst ansonsten vernünftige, gebildete Menschen sich in hysterische Lemminge verwandeln, die Meldungen nachplappern, welche früher niemand auch nur mit einer Zange angefasst hätte.

Null Strahlentote - echt jetzt?
Der krasseste Fall der letzten Jahre waren die angeblich mehr als 20.000 Toten durch eine Reaktorkatastrophe in Japan. Fukushima, you name it. Auch Topmedien vermengten die Ereignisse einer Naturkatastrophe mit denen eines technischen Schadens auf eine unlautere Art und Weise, die dazu führte, dass noch immer etliche Menschen daran glauben, dass es tausende Strahlentote gegeben habe. Diese Bilanz lautet aber bis heute: Null.

Sarah Palin - irgendwas wird schon dran sein!
Perfide sind auch Verquickungen von Äußerungen und Personen, die in den Überschriften zu einer geradezu bösartigen Propaganda zusammengerührt werden. Heute melden beispielsweise etliche Medien, dass Sarah Palin einen Atomangriff auf Russland gefordert habe. Man mag zu dieser Frau stehen, wie man mag, aber daran ist kein Wort wahr. Tatsächlich hat sie auf einer Parteiveranstaltung ein bekanntes, amerikanisches Bonmot - ein bad guy mit Waffe wird am besten von einem good guy mit Waffe gestoppt - abgewandelt und in einen globalen Kontext der Obama Regierung gestellt, der das Atomwaffenarsenal abrüsten möchte. Das mag dumm, überheblich, lächerlich oder einfach nur einem Affekt geschuldet sein, whatever - es war aber nicht das, was in vielen deutschen Medien daraus gemacht wurde.

Die tägliche Empörung gib uns heute
Tatsächlich haben nicht wenige meiner Facebookfreunde diesen kompletten Mist im erwartungsgemäßen Ton von Entrüstung bis Empörung - garniert mit Beleidigungen zur Rednerin - verbreitet. Ich grüble noch, was an diesem sehr typischen Fall deprimierender ist: Die Perfidie einiger Medien oder die inzwischen schon hysterische Leichtgläubigkeit vieler Erwachsener.

Für meine Kinder und überhaupt alle Jüngeren wünsche ich mir eines: Dass sie die Mechanismen des Internet verstehen und ihre Schlüsse daraus ziehen. Um nicht jeden Stuss weiterzuverbreiten und ihren gesunden Menschenverstand auch in der Ära von Echtzeitnachrichten einschalten.